Transgenerationales Trauma
Vielleicht könnt Ihr mit dem Begriff Transgenerationales Trauma nichts anfangen, aber die meisten von Euch kennen das Phänomen. Kurz erklärt: ein Transgenerationales Trauma ist ein nicht verarbeiteter emotionaler Schmerz, der von Generation zu Generation vererbt wird. Ein kleines Beispiel: Eine Familie hat während des zweiten Weltkriegs Hunger gelitten. Das Trauma der Not, des physischen Schmerzes oder der Todesangst zu verhungern, überträgt sich auf zukünftige Generationen dergestalt, dass ein Kriegsenkel zum Beispiel das dringende Bedürfnis hat, Speisen in der Menge eines kleinen Edeka zu lagern.
Wenn unverarbeitete Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden, spricht man von transgenerationalen Traumata. Wenn sich in einer Familie über Generationen hinweg Muster durchziehen, lohnt es sich den systemischen Zusammenhang zu ergründen. Das können Suchtverhalten sein, Beziehungsmuster, die Denke gegenüber Menschen bestimmten Geschlechts oder Herkunft, die Einstellung zu Arbeit, Geld und Freizeit, beruflicher Erfolg, Kinder und vieles mehr…
Die transgenerationale Weitergabe emotionaler Erfahrungen und Reaktionen an die nächste Generation ist ein normaler und gesunder Vorgang. „Generationen von Menschen hatten Angst vor Spinnen, Schlangen, Raubtieren, Feuer und Dunkelheit und gaben diese Angst an ihre Kinder weiter als eine Anzahl von archaischen Mustern emotionaler Reaktion auf bestimmte Auslöser. Daraus sind archaische Traumaschemata geworden.“ (Transgenerationale Traumatisierung-Prof. Plassmann-20.10.11).
Genauso haben sie auch positive Erfahrungen weitervermittelt: Berufe, Geselligkeit, Traditionen, soziales Miteinander, usw. Entscheidend ist, ob die nächste Generation von dem was ihr vererbt wurde angeregt wird, etwas Besseres daraus zu machen oder ob sie traumatisiert und in ihrer Entwicklung blockiert wird. Immer wieder zerbrechen Menschen an der unerledigten und oft unerkannten Last.
Wie erkennen wir denn, ob wir oder unsere Kinder betroffen sind? Manchmal tatsächlich gar nicht. Das bedeutet aber nicht, dass es hier zu einem Versäumnis gekommen ist. Wie so oft gilt auch hier: wenn keine merkliche Einschränkung, keine Eigen- oder Fremdgefährdung, oder ein Leidensdruck vorhanden sind, dann ist es auch kein Thema.
In Familien ist es manchmal nicht ganz so eindeutig. Jemand der selbst mit einem transgenerationalen Trauma aufgewachsen ist, sucht sich gerne auch einen Partner, der Ähnliches aus seinem bzw. ihrem System kennt. Das Leben mit dem Trauma wir zur Normalität. Wie der kleine Edeka in der Speisekammer.
Mein Anliegen an dieser Stelle: bitte nicht gleich davon ausgehen, dass jeder der eine gut gefüllte Speisekammer bevorzugt, ein transgenerationales Trauma hat. Vieles erfährt man auch im eigenen Leben am eigenen Leib, oder lernt von anderen und übernimmt das, was mit dem eigenen Wesen stimmig ist.
Transgenerationale Traumata zeigen sich in sehr vielfältigem Gewand. Sie sind oft ursächlich für Probleme in der Partnerschaft und in der Sexualität. Ahninnen, die beispielsweise sexuelle Frustration auch Gewalt oder männliche Unterdrückung erlebt haben, geben ihre unverarbeiteten Traumen weiter.
Gelegentlich zeigen sich bei weiblichen Klientinnen auch Schwierigkeiten in einträglichen Berufen zu arbeiten, sich männlichen Kollegen gegenüber zu behaupten und sich Führungsrollen zuzutrauen. Da kommt transgenerational oft eine sehr patriarchalische Struktur zu Tage und Frauen, die sich aus verschiedensten Gründen den Männern untergeordnet haben. Ähnliches kommt bei männlichen Nachfahren in matriarchalischen Systemen vor.
Gleichzeitig erlebe ich Klientinnen und Klienten die in sich, den Anspruch an eine Führungsrolle tragen, diesem aber nicht gerecht werden wollen, oder können. Der oft permanente Druck, der daraus entsteht, lässt viele körperlich oder psychisch erkranken. Erlebnisse wie Scheitern und Ruin oder die Angst davor, werden ebenfalls transgenerational weitergegeben und können immensen Druck auf die Nachfahren ausüben.
Auch bei Müttern sehe ich immer wieder Blockaden im Zusammenhang mit ihrer Mutterrolle, den Kindern und der finanziellen Situation. Transgenerationale Traumata von Ahninnen, die Kinder verloren haben, unzureichend medizinisch versorgt wurden, sich und die Kinder alleine durchbringen mussten und unter Armut litten, kommen immer wieder vor. Auch männliche Nachfahren können davon betroffen sein.
Therapeutisch gesehen gibt es verschiedene Techniken, mit denen man transgenerationalen Traumen auf die Spur kommt. Oft hat man bereits eine Ahnung von welchem Ahnen die Blockaden ausgehen oder fühlt sich mit einem Familienzweig verbundener, als mit dem anderen. Hier könnte man zum Beispiel Ahnenforschung betreiben und Zeitzeugen befragen. Viele Familien haben „blinde Flecken“ in ihrer Geschichte, über die nie gesprochen wird. Oder es gibt bereits verstorbene Familienmitglieder denen eine besondere Geschichte anhaftet, oder die aus irgendeinem Grund keinen Platz mehr im System haben. Da reicht es oft schon diesem Familienmitglied Raum zu geben, sich an sie oder ihn zu erinnern, ihr oder ihm Wertschätzung entgegen zu bringen und schließlich sich abzugrenzen von dem Trauma.
Manchmal ist es aber auch eine bereits bekannte Flucht-, Vertreibungs-, oder Kriegsgeschichte, die in der Seele der Beteiligten solche Spuren hinterlassen hat, dass diese noch in den nächsten Generationen spürbar sind. Da bedarf es manchmal eher Würdigung, Gedenken, oder auch Verständnis für die Handlungsweise der Vorfahren.
Sollte das nicht ausreichen, um eine gute Abgrenzung zu erzielen, wäre eine therapeutische Intervention möglicherweise angezeigt. Mit einer Methode aus dem Bereich des Systemischen, können alte Strukturen, Themen und Traumata aufgedeckt und gelöst werden.
Leider führt das transgenerationale Trauma von Vorfahren oftmals zu einer Traumatisierung der Nachfahrinnen und Nachfahren die es übernommen haben. Hier würde man sowohl eine therapeutische Technik zur Auflösung des Transgenerationalen Traumas anwenden, als auch eine traumatherapeutische Sitzung durchführen.
Gerne könnt Ihr Euch bei mir melden, wenn Ihr Fragen zu diesem Thema habt.
Alles Liebe,
Eure Sylvia